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Das Milliarden-Missverständnis

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Silven:
Wenn ihr die Finanzkriese verfolgt - hier ein, wie ich meine, informativer Artikel dazu aus dem Handelsblatt.

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In der Großen Depression in den 30er-Jahren wollten US-Politiker die Wall Street zähmen - doch ihre Gesetze bewirkten 75 Jahre später das genaue Gegenteil.
Nun haben die Investmentbanken ihr Geschäftsmodell selbst zu Grabe getragen.

NEW YORK/DÜSSELDORF. Die beiden Männer, die das Bankwesen retten wollen, haben wenig gemein. Der eine, Carter Glass, 75 Jahre, Senator aus Virginia, ist ein Freund radikaler Lösungen. Finanzminister war er mal, und das Notenbanksystem in den USA hat er mitbegründet. Seit Jahren kritisiert er die fast allmächtigen Banken an der Wall Street: Seit dem Börsencrash vom Oktober 1929 und der Weltwirtschaftskrise sind sie Glass ein Dorn im Auge. Zur Ordnung müsse man die Banken rufen und ihnen das "riskante Glücksspiel mit Aktien" verbieten, wettert er. Einen "unverbesserlichen Rebellen" nennen sie ihn in Washington, weil Carter Glass seine extremen Forderungen einfach nicht ruhenlassen mag.

Der andere, Henry Bascom Steagall, 60 Jahre alt, Abgeordneter im US-Repräsentantenhaus und Vorsitzende des Bank- und Währungsausschusses, gilt als ruhig und pragmatisch. Kleinere Banken auf dem Land liegen Steagall mehr am Herzen als die Wall-Street-Giganten, ebenso wie die Interessen von Farmern in seiner Heimat Ozark im Bundesstaat Alabama. Die beiden Politiker aus Amerikas Süden schließen ein Zweckbündnis.

Im Sommer 1933 sind Glass und Steagall am Ziel. Präsident Franklin D. Roosevelt erlässt den entscheidenden Teil des Glass-Steagall-Gesetzes. Carter Glass bekommt, was er wollte: Amerikas Banken müssen sich von nun an entscheiden, ob sie sich auf das Geschäft mit Krediten und Spareinlagen spezialisieren - oder auf das Spekulieren mit Anleihen und Aktien. Langweilige Geschäftsbank oder risikofreudige Investmentbank - beides zugleich ist ab sofort so gut wie verboten.

Henry Steagall hält zwar nichts von dieser Trennung. Aber er kann in dem neuen Gesetz seinen Herzenswunsch nach einem Einlagensicherungssystem unterbringen, das die Guthaben privater Kunden von nun an schützt.

Das Glass-Steagall-Gesetz ist der Anfang vom Ende der mächtigsten Banken der USA. Es ist eine Kampfansage an damals fast übermächtige Institutionen wie JP Morgan, die Großkonzerne mit Krediten füttern - und sie gleichzeitig bei Übernahmen und Finanzgeschäften beraten.

Carter Glass und Henry Steagall zerschlugen eine Machtstruktur, aber sie legten auch die Saat für eine neue - die der reinen Investmentbanken. Ihre Ära ist nun zu Ende. Morgan Stanley und die zweite verbliebene US-Investmentbank Goldman Sachs kehren zum traditionellen Bankgeschäft zurück. Sie unterliegen auch allen Kontrollen und Regeln, die für andere Geldhäuser gelten. Die anderen drei großen Investmentbanken hatte die Finanzkrise da bereits erledigt: Lehman Brothers ist pleite, Bear Stearns und Merrill Lynch verkauft - an Geschäftsbanken.

1933 - 2008: Vergangenes Wochenende machten sich erneut zwei Männer auf, den Bankenmarkt zu retten oder wenigstens das, was die Finanzkrise davon übrig ließ: Ben Bernanke, Chef der Notenbank Federal Reserve, und US-Finanzminister Henry Paulson. Durch ihre Rettungsaktion verschwinden die letzten Spuren des alten Systems, das Geschäfts- und Investmentbanken trennte und das mit Glass und Steagall begann.

Die Geschichte der Investmentbanken beginnt vor über 100 Jahren. Ende des 19. Jahrhunderts erreicht die Industrielle Revolution ihren ersten Höhepunkt. Stahlhütten, Kraftwerke, Eisenbahngesellschaften und Telefonkonzerne brauchen für ihre Expansion riesige Mengen an Kapital. Bis zum Ersten Weltkrieg hat sich an der Wall Street eine mächtige Finanzindustrie etabliert, die weite Teile der US-Industrie dominiert.

Deutsche Emigranten aus Unterfranken haben das Geschäft mitgeprägt. Da sind die Gebrüder Heinrich, Emanuel und Mayer Lehman aus Rimpar, die ab 1844 in 50 Jahren aus einem Gemischtwarenladen eine Großbank machen. Auch Marcus Goldmann aus Trappstadt und sein Kompagnon Joseph Sachs, Juden wie die Lehmans, fliehen vor der Diskriminierung in deutschen Landen - und gründen ab 1848 in Amerika Bankiersdynastien.

Die mit Abstand wichtigste Investmentbank vor dem Ersten Weltkrieg ist JP Morgan. Die Mutter aller Investmentbanken gab ihr Modell früher auf als Lehman oder Goldman Sachs: Sie fusioniert 2000 mit der Geschäftsbank Chase Manhattan. Im April 2008 kauft JP Morgan Chase die schlingernde Investmentbank Bear Stearns auf. JP Morgans einstige Wettbewerber hingegen wie Kidder, Peabody & Co. oder Lee, Higginson & Co. sind dagegen schon lange verschwunden.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts ist der Einfluss der Investmentbanken auf die US-Wirtschaft so groß, dass Zeitgenossen vom "Money Trust", dem Geld-Kartell, sprechen. Jahrzehntelang fahren die Geldhäuser üppige Gewinne ein. Die Investmentbanken sind eng mit der Industrie verbandelt: Sie wickeln nicht nur Aktiengeschäfte und Übernahmen für Konzerne wie AT&T und General Electric ab - bei vielen Kunden sitzen die Banker auch im Aufsichtsrat.

JP-Morgan-Gründer John Pierpont Morgan (1837 bis 1913) und seine Partner zum Beispiel sitzen 1912 in den Kontrollgremien von 20 verschiedenen Konzernen, darunter drei Energieerzeuger und neun Eisenbahngesellschaften. Die Aufsichtsratsmandate verschaffen den Herren der Wall Street massive Informationsvorsprünge - und das Insiderwissen machen sie an den Börsen zu Geld. Ökonomen wie Brad De Long von der Universität Berkeley sprechen heute von "Investment-Banking-Oligarchen".

Doch auch die Industriekonzerne profitieren - ihr Börsenwert ist um 30 Prozent höher als der vergleichbarer Firmen, hat De Long festgestellt. JP Morgan und Kollegen üben offenbar noch eine wichtige Funktion aus: Sie schauen den Managern ganz genau auf die Finger.

Probleme lösen Investmentbanker wie John Pierpont Morgan am liebsten höchstpersönlich - so wie im Herbst 1907. Am Aktienmarkt bricht Panik aus, weil einige unsolide Spekulanten pleite sind. Morgan versammelt die Chefs aller führenden New Yorker Finanzhäuser, überredet sie zu Notkrediten von 25 Millionen Dollar, und die Lage beruhigt sich wieder.

Der Mann, ein übergewichtiger Hüne mit buschigen Augenbrauen, einer von Akne gezeichneten Nase und imposantem Walross-Schnurrbart, verkörpert Macht und Willen, und das tut auch die Zentrale seiner Bank an der Wall Street Nummer 23. Von außen glich sie einer Festung, innen beeindruckte sie mit hohen Decken und imposanter Architektur. Ein Gebäude, das ihn eingeschüchtert habe, schreibt Alan Greenspan in seiner Autobiografie über die JP-Morgan-Zentrale, die der Konzern inzwischen verkauft hat. Greenspan saß, bevor er Notenbankchef wurde, im Aufsichtsrat von JP Morgan.

In der amerikanischen Wirtschaftspolitik ist die Macht der Investmentbanken im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts eines der umstrittensten Themen. Zweimal schiebt der Kongress grundlegende Untersuchungen an, um die Rolle der Investmentbanken zu beleuchten. "Beendet wurde die Debatte erst durch die ,Great Depression'", schreibt Brad De Long. "Der Glass-Steagall-Act sprengte die Verbindung zwischen Aufsichtsratsmandaten, Investment-Banking und dem Geschäftsbank-ähnlichen Management der Wertpapier-Portfolios, die das zentrale Charakteristikum der US-Finanzindustrie zwischen 1890 und 1930 war."

Auslöser der Großen Depression ist Ende Oktober 1929 das jähe Ende der lange Hausse auf dem US-Aktienmarkt. Der Standard-&-Poor's-Aktienindex, der Anfang September noch bei 254 Punkten notierte, stürzt auf 162 Zähler. An der Wall Street herrscht nackte Panik: Händler begehen Selbstmord, indem sie aus dem Bürofenster springen.

Gleichzeitig geht es mit der US-Konjunktur bergab. Ein Abschwung beginnt, wie ihn die Welt noch nicht erlebt hat. Die Wirtschaftsleistung der USA schrumpft so sehr, dass sie 1933 real geringer ist als 1916 - dabei ist die Zahl der Einwohner um ein Viertel höher.

Ein Jahr später wächst sich der Aktiencrash zu einer Bankenkrise aus. Im November 1930 kollabieren in den USA 256 Banken mit Einlagen in Höhe von 180 Millionen US-Dollar; ein Monat später erwischt es gar 352 Institute mit 370 Millionen Dollar Einlagen.

In mehreren Wellen schaukelt sich die Krise hoch, bis im Februar/März 1933 das US-Finanzwesen komplett stillsteht. "Das Scheitern weltberühmter Finanz-Institutionen und die allgegenwärtigen Schließungen von Banken", schrieben Milton Friedman und Anna Schwartz im Standardwerk "The Great Contraction 1929-1933", "verunsicherte Sparer in aller Welt." Schuldig an dem Drama sei die US-Notenbank gewesen, erläutern Friedman und Schwartz: Die Fed habe zu wenig Liquidität bereitgestellt.

Für Carter Glass ist der Sündenbock ein anderer: die Banken. Sie hätten die Spareinlagen ihrer Kunden missbraucht, um an der Börse zu spekulieren. Eine strikte Trennung dieser beiden Geschäftsbereiche müsste daher her, um ein solches Fiasko in Zukunft zu vermeiden. Glass, der nie studierte und wegen des amerikanischen Bürgerkriegs in seiner Heimat Virginia nur kurz zur Schule gegangen war, galt in Finanzfragen als erzkonservativ. "Es gibt keinen Grund, warum der Steuerzahler verschuldeten Banken helfen sollte", sagte er. Als Ausweg aus der Bankenkrise sah er nur eine Möglichkeit: Banken, die mit Wertpapieren handeln, dürfen keine Spareinlagen halten. Doch nur zwei Jahre nachdem das Glass-Steagall-Gesetz in Kraft getreten ist, rudert der Senator zurück: Vielleicht sei es doch ein Fehler gewesen, das Trennbankensystem einzuführen.

Das Urteil anderer Experten über den Glass-Steagall-Act fällt entschiedener aus: Das Gesetz basiere "auf einem historischen Missverständnis", sagt Hans-Joachim Voth, auf Finanzkrisen spezialisierter Wirtschaftshistoriker an der Universität Pompeu Fabra in Barcelona. In den 30er-Jahren habe es in den USA erhebliches Misstrauen gegen den Finanzkapitalismus gegeben, was zu falschen Schlüssen geführt habe. Voths Kollege Carlos Ramirez schreibt: "Das Gesetz hat am Ende ein funktionierendes Bankensystem zerstört und der Branche enorme Kosten aufgebürdet."

Dennoch hält sich das Gesetz über Jahrzehnte. Immer wieder versucht die Branche, die Mauern von Glass und Steagall niederzureißen - vor allem mit einem Argument: Die US-Kreditwirtschaft sei im internationalen Wettbewerb benachteiligt. Mit Sondergenehmigungen steigen klassische Geschäftsbanken nach und nach ins Wertpapiergeschäft ein. Doch erst 1999 wird das Gesetz endgültig abgeschafft.

Das wirkt wie eine Initialzündung. Geschäftsbanken, Versicherungen und Brokerhäuser fusionieren, in den USA entstehen Universalbanken nach europäischem Vorbild. Zu den spektakulärsten Deals gehört die 140 Milliarden Dollar schwere Übernahme der Traveler's Group durch die Citibank.

Noch in den 70er-Jahren gibt es in den USA 19 000 selbstständige Banken. Zur Jahrhundertwende sind es nur noch halb so viele. Zugleich steigt der Anteil der Gewinne der US-Finanzindustrie an der Wirtschaftsleistung. Zuletzt entfiel ein Drittel aller Unternehmensgewinne in Amerika auf Banken - vor allem auf das spekulative Geschäft der Investmenthäuser.

Vorbei, diese Zeiten - spätestens seit dem vergangenen Wochenende, als nur noch 700 Milliarden Dollar aus der Staatskasse den Zusammenbruch des US-Finanzmarktes verhindern können.

Das Ende der unabhängigen Investmentbanken hatte sich bereits angekündigt, als Lehman Brothers Mitte September Konkurs anmeldete und sich das Brokerhaus Merrill Lynch unter das Dach der Geschäftsbank Bank of America rettete. Alan Greenspan kommentiert dies knapp, aber drastisch: "Eine Jahrhundertkrise!"

Um dem Schicksal von Merrill Lynch zu entgehen, haben Morgan Stanley und Goldman Sachs entschieden, ihr Geschäftsmodell zu ändern - allerdings wohl erst, nachdem Fed-Chef Bernanke die Institute nachdrücklich dazu aufgefordert hatte.

Es ist eine Kulturrevolution. Bislang betrachteten sich Investmentbanker als die Stars im Finanzuniversum. Bei ihnen arbeiten die cleversten Absolventen der Eliteuniversitäten, hier werden die höchsten Löhne gezahlt, hier gibt es die steilsten Karrieren. Nun müssen Goldman Sachs und Morgan Stanley mehr Kapital als früher vorhalten und dürfen nur noch geringere Risiken eingehen. Das drückt die Renditen - und damit auch die Jahresprämien. Die Herren des Finanzuniversums verlieren ihren Nimbus.

Mindestens ebenso wichtig: Die Arbeit dürfte ihren Reiz verlieren. Investmentbanker sind wie Extremsportler. Sie lieben das Risiko - auch das unkontrollierte. In einer normalen Bank ist das Leben zwar sicherer, aber sicher auch langweiliger.

Lange lautete an der Wall Street die magische Formel: "Sei mehr als Goldman Sachs." Nun heißt es: "Sei weniger als Goldman Sachs."

© Verlagsgruppe Handelsblatt GmbH 2008

Delo Cor:
netter artikel!


--- Zitat von: Silven am 25.Sep.08, 09:39:24 ---An der Wall Street herrscht nackte Panik: Händler begehen Selbstmord, indem sie aus dem Bürofenster springen.

--- Ende Zitat ---

lol,das kenn ich doch schon irgendwoher!
In Simpsons oder Futurama wurde das richtig gut umgesetzt! ;D

Kelmoir:
hmmm, da hatte ich doch irgentwo mal was zu gesehen

*such*

http://www.isnichwahr.de/r38886546-zeitgeist-addendum-.html

zugegeben, harter, über 2h langer Stoff, aber schon interressant - wennglich man ned vergessen sollte dass der Kommunismus schon früher die Idee von keinem Geld hatte - aber noch ekinen möglichen überfluss beigelegt hatte. und diese Computeraniomierten bilder sind nett anzuschauen. mehr besser nicht ;) - sonst wird das ganze noch stark beeinflussend.

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